Süßen Taurus süffeln junge Leute gerne
Mischwein als Szenegetränk

So etwas hat die Weinwirtschaft im Land noch nicht erlebt: Normaler Rebensaft wird eisgekühlt zum Kultgetränk. Die Erfinder sitzen in Hohenlohe und reiben sich die Hände. Der Taurus wird ihnen neuerdings vor allem vom jungen Partyvolk aus den Händen gerissen.

Von Wieland Schmid

Michael Grosch (31) weiß nicht recht, wie er die wachsende Lust am Taurus beschreiben soll. "Der schmeckt einfach nur", sagt der Computerfachmann, und dann fällt ihm noch etwas ein: "Man kann viel davon trinken." Grosch und etwa fünfzig weitere Hohenloher im Alter zwischen 18 und 45 Jahren sind so begeistert von dem neuen Drink, dass sie einen Fanclub gegründet haben und auf T-Shirts Werbung dafür machen. Sie sind überzeugt davon, dass sie die ersten Anhänger eines zukunftsträchtigen neuen Kultgetränks aus reinem Wein sind.

Die 160 Wengerter der Weingärtnergenossenschaft Heuholz können es derweil kaum glauben. Seit fast siebzig Jahren vermarkten sie nun schon gemeinsam die Rebensäfte aus ihren hundert Hektar Weinbergen im lieblichen Tal der Ohrn, ein paar Kilometer südöstlich von Pfedelbach im Landkreis Hohenlohe. Rund eine Million Liter sorgen für 2,5 Millionen Euro Umsatz jährlich, und nicht nur das. Auch die Qualität des Ohrntaler Weins ist so hoch, dass die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft die Heuholzer auf die Liste der 33 besten Weinerzeuger von ganz Württemberg gesetzt hat. Aber auf die Idee, dass ausgerechnet ihre süßesten Tropfen sogar beim Nachwuchs reißenden Absatz finden könnten, wären die Heuholzer nie gekommen.

Da hat einer von der Mosel kommen müssen, um das zu schaffen. Dieter Schnitzius stammt aus Kröv, wo der berühmte "Nacktarsch" gekeltert wird. Vor dreieinhalb Jahren haben die Heuholzer den gelernten Diplomingenieur für Getränketechnologie und Vertriebsingenieur nach Hohenlohe geholt und zu ihrem Geschäftsführer gemacht.

Seither bitten sie vergebens um eine Verschnaufpause: "Die elf vom Vorstand und vom Aufsichtsrat bremsen, und ich gebe Gas", beschreibt der freche Manager Schnitzius die Beziehung zu seinen konservativen Arbeitgebern. Die können derzeit gar nicht fassen, was der 36-jährige Geschäftsführer mit ihren noblen Spitzenweinen macht - und dabei auch noch alle Verkaufsrekorde schlägt. Schnitzius hat sich nämlich auch in jener Jungvolkszene umgesehen, die sich gern auf Partys und an Tankstellen zuckersüße Spirituosen einverleibt.

Auf die Frage, welcher Wein denn cool genug für sie wäre, erhielt er eine überraschende Antwort: "Die Jungen wollten Wein trinken, der dunkel, süß und gut verträglich ist." Warum das erwünschte Getränk noch "was möglichst Schwarzes" sein sollte, weiß Schnitzius bis heute nicht. Aber das Ergebnis seiner Experimente erfüllt offensichtlich alle Forderungen der jungen Kundschaft.

Voriges Jahr beim Öhringer Weindorf haben die Heuholzer das zum erstenmal entdeckt. Damals verkauften sie 36 Flaschen Trollinger, 250 Flaschen Weißherbst - und 1200 Flaschen Taurus. Die schwarzen Flaschen mit dem roten Stier als Markenzeichen hat der Geschäftsführer Schnitzius am Anfang am Vorstand vorbei produzieren und abfüllen lassen, angeblich für seinen Bruder an der Mosel. "Die Heuholzer hätten mir das sonst nie genehmigt", meint der risikofreudige Genossenschaftsleiter heute. Aber jetzt hat keiner mehr etwas gegen die Mischung, die der Kellermeister kopfschüttelnd zusammenbraut. Das Rezept: Man nehme einen ordentlichen Schuss Schwarzriesling Spätlese, eine ebenso kräftige Portion Dornfelder Kabinett und eine sparsame Beigabe der neuen Rebsorte Acolon, einer Kreuzung aus Dornfelder und Lemberger. Das ergibt 9,5 Volumenprozent Alkohol in einem Drink, der in warmem Zustand zum Abgewöhnen schmeckt. Der Restzuckergehalt ist 44 Gramm pro Liter. Taurus ist so süß, dass er nur eiskalt schmeckt, aber das offensichtlich so gut, dass Schnitzius den Verkaufserfolg "exorbitant" nennt. Die ersten 5000 Flaschen waren innerhalb von vier Wochen weg, jetzt wächst der Umsatz der Genossenschaft um fünf Prozent - allein wegen Taurus.

Leute wie der Fanclubchef Michael Grosch schwören, dass sie ohne weiteres zwei Flaschen davon trinken können, ohne einen Kater zu bekommen. Weil ihnen das alles so viel Spaß macht, brechen sie inzwischen auch noch alle anderen Tabus der Weinwirtschaft. Die blonde Jenny aus Heilbronn, ebenfalls Liebhaberin des roten Stiers, wirbt auf den Internetseiten das Fanclubs mit viel nackter Haut für den neuen Weingenuss. Mehr als 4000 Surfer haben sich das schon angeguckt, nicht immer mit Wohlwollen. Die Hohenloher Landfrauen waren geschockt, die meisten männlichen Weintrinker sind begeistert.

Die Taurus-Anhänger sind sowieso nicht mehr zu stoppen. Am 3. Mai planen sie eine große Taurus-Fanclub-Party. Da sollen dann nicht nur neue erotische Werberinnen für den Wein aus Heuholz präsentiert werden, sondern auch Taurus-Unterwäsche - mit einem Pferd drauf für die Damen, mit einem roten Stier für die Herren. Der Taurus-Freund Michael Grosch freut sich schon: "Endlich kommt mal neuer Wind rein in die altbackene Weinszene."


 
Stuttgarter Zeitung
vom 11.03.2003
von Wieland Schmid
 
stuttgarter-zeitung.de
 
Download Bericht
(PDF - Dokument 1143 kb)